Leseprobe Cécile Reyboz
Ode an die Krake
Ich begann auf der Stelle.
Für den Anfang wollte ich nichts wollen, und
mehrere Tage arbeitete ich mich daran ab, nichts zu
wünschen, kein Verlangen, nicht das leiseste, zu haben.
Mein Wesen von jeglichem Wollen zu befreien.
Ich hatte den Anspruch meines Projekts zweifellos
unterschätzt. Von Zimmer zu Zimmer machte
ich mich daran, ich jagte den Wunsch, um ihn
zu vertreiben, das war eine Prüfung. Ich hätte das
Nichts-Wollen gerne ohne diese verkniffene Konzentration
zuwege gebracht. Auf der Straße – den
Reihen von Schaufenstern, Zeitungsläden, Schuhgeschäften
und Metroaufgängen ausgeliefert – war es
noch schlimmer. Nichts schleicht sich so schnell ins
Gehirn wie eine Willensregung. Eine flüchtige Eingebung
lenkt die Schritte und Bewegungen, bevor sie
überhaupt bewusst formuliert ist. Es wurde zu einem
dumpfen Ringen gegen tausende winziger potentieller
Vorhaben, zu einer Jagd auf vage Ideen, die
drohten, klare Formen anzunehmen. Ich ballte die
Fäuste, gewappnet gegen alles, was man automatisch
in Angriff nimmt, bereit, mich in einem einheitlichen
Block aus Desinteresse entgegenzusetzen,
und doch musste ich zwangsweise Dinge durchgehen
lassen.
Ich führte diesen Kampf zu Hause, während
der Arbeitszeit, und das führte unweigerlich zu
Problemen mit meinem Arbeitgeber, doch ich klärte
das. Eines Morgens, nach einer Woche der Läuterung,
des Fastens vom Tun, fühlte ich mich bereit,
wieder zum Prinzip des aktiven Wollens zurückzukommen.
Der Prolog war zu Ende, ich würde zur Tat
schreiten: einzig nach meinem Willen zu leben, die
Grenzen des Möglichen voll ausschöpfend. Jedes
Verlangen umzusetzen, sofern es mir vollkommen
zu eigen wäre.
Einer meiner ersten Wünsche war es, die Sache
mit meiner Arbeit zu regeln, das heißt, ich rief
an, um zu sagen, dass ich krank sei. Es kam keine Bemerkung, man nahm es zur Kenntnis. Diese Formalität schien beinahe schon zu einfach, man hätte meinen können, sie wussten es schon.
Was mir schwer fiel zu verstehen war, warum ich nicht deutlich erklärt hatte, dass ich nie mehr arbeiten kommen würde, obwohl diese Entscheidung doch unwiderruflich feststand. Ich wunderte mich, dass ich mich mit einer Lüge begnügt hatte, die die endgültige Verlautbarung nur hinausschob. Schließlich beruhigte ich mich damit, dass es zweifellos deshalb gewesen war, weil ich es so gewollt hatte, was von nun an die einzig gültige Rechtfertigung meiner Taten sein sollte.